Es war immer die Höhe, die mein größter Feind war. Ich weiß noch damals, als ich gerade laufen gelernt hatte und meine große Schwester mich mit auf unser Baumhaus nahm. Die Aussicht war für einen kleinen Menschen wie mich unglaublich, auch wenn das Baumhaus maximal nur drei Meter hoch war. Als meine Schwester mir nur für einen Moment den Rücken zudrehte, passierte es, ich rutschte aus und fiel über die sicherheitsversprechende Brüstung ins ungreifbare Nichts.
Ich weiß noch, wie mir all meine Luft aus der Brust gepresst wurde, als ich auf den Boden schlug, und ich dachte, ich müsste sterben. Ich brach mir mein Bein und konnte die nächsten Wochen nicht mehr mit meinen Freunden draußen durch den Wald jagen.
Als ich mich erholt hatte, überwand ich meine Angst und kletterte erneut auf das Baumhaus und begann der Höhe wieder zu vertrauen, was sich als Fehler erwies. Denn als ich 17 wurde, dachte ich, ich müsste meinen Freunden was beweisen, und kletterte auf den höchsten Baum in der ganzen Umgebung. Im ersten Augenblick, als ich oben ankam, war ich überwältigt, ich konnte kilometerweit sehen. Ich konnte bis in die Nachbarstadt sehen, die weitentfernten Berge und den See, in dem ich schwimmen gelernt hatte, es war atemberaubend und dann brach er, der Ast, auf dem ich stand.
Ich fiel und fiel, dieses Mal waren es nicht nur drei Meter, die Äste bremsten mich, doch der Aufprall war dennoch hart und wieder wich all meine Luft aus meinem Brustkorb und ich verlor das Bewusstsein.
Als ich aufwachte, war ich verwirrt und hatte überall Schmerzen, man hatte mich in Krankenhaus gebracht, ich hatte mir eine Gehirnerschütterung zugezogen und schwor der Höhe für immer ab.
Seit diesem Tag wurde meine Angst gegenüber der Höhe immer schlimmer, die anfängliche Abneigung verwandelte sich in eine ausgewachsene Angst, jedes Mal, wenn ich in die Tiefe blickte, auch wenn eine Scheibe dazwischen war, fühlte ich wieder, wie mir all meine Luft aus meiner Brust entwich, wie Schmerz durch mein Rückgrat schoss und ich bekam Panik und begann zu schreien, bis ich bewusstlos wurde. Irgendwann gaben es die Menschen in meiner Umgebung auf zu versuchen, mir meine Angst zu nehmen, und ich wollte nicht länger versuchen, die Angst zu überwinden. Die Höhe bedeutete Schmerz, Angst, Verzweiflung, Panik und Gefahr, man kann ihr nicht trauen, denn sie war gnadenlos und riss einen in die Tiefe.
All das dachte ich innerhalb eines Wimpernschlages, während ich mich fallen ließ und ich fiel wieder und fiel und fiel, ins endlose Nichts, aus einer Höhe, die den Tod versprach und während der Wind meine Wange streichelte, die Geschwindigkeit an meinen Klamotten riss und ich immer weiter in die Tiefe stürzte, merkte ich es. Ich hatte keine Angst mehr, denn es fühlte sich an wie Fliegen.
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